Statistik und Deportation
der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich

Im Anschluss an die Deportationswelle zwischen März und Mai 1942 in die Durchgangslager des Distrikts Lublin im Generalgouvernement wurden im Juni und Juli 1942 sämtliche Transporte aus Deutschland, die nicht nach Theresienstadt gingen, direkt in die Vernichtung geleitet, in der ersten Junihälfte vermutlich nach Sobibor (mit vorheriger Selektion von Arbeitsfähigen in Lublin), dann nach Auschwitz und Minsk. So verließ nur wenige Tage nach den beiden Sammeltransporten vom 11.7. und 13.7. mit jüdischen Menschen aus ganz Deutschland in Richtung Auschwitz am 20.7. ein dritter Transport Köln in Richtung Minsk, um die darin verschleppten Menschen unmittelbar nach der Ankunft am Zielort zu ermorden.


Eine Gestapoliste für den Kölner Transport ist nicht bekannt. Allerdings können aus einer Aufstellung des Oberfinanzpräsidenten Köln (siehe hier) unter Einbeziehung der Kartei aus der Sammlung Wülfrath [D. Corbach, 6.00 Uhr ab Messe Köln-Deutz, Köln 1999, S. 496-552] die Namen von 1164 Menschen ermittelt werden. Diese Angabe stimmt mit dem Eintrag auf einem erhalten gebliebenen Bahndokument überein (siehe unten). Die Liste des OFP erlaubt anhand der vergebenen Nummern eine Zuordnung der darin genannten Personen zum Deportationstransport nach Minsk. Die Kartei von Wülfrath stimmt für den Minsker Transport bis auf Ausnahmen mit der OFP-Liste überein. Allerdings sind v.a. bei Wülfrath eine erhebliche Anzahl von fehlerhaften Personendaten enthalten, die in einem Projekt des NS-Dokumentationszentrums Köln anhand von Personenstands- und Meldeunterlagen teilweise überprüft und korrigiert werden konnten [K. Fings und N. Matuszewski, Gedenkstättenrundbrief 2016, Nr. 182, S. 18-27, siehe hier].


Eine große Zahl der deportierten Kölner kam aus dem Lager in Bardenberg bei Aachen. Nach dem Luftangriff auf Köln vom 31.5.42 wurden am 10.6. zur Freimachung von Wohnraum und Vorbereitung der Deportationen mehrere Hundert Kölner Juden nur mit Handgepäck in die RAD-Lager von Niederbardenberg und Pley bei Aachen sowie Mausbach bei Stolberg gebracht. Im Anschluss an die beiden Deportationen vom 15.6. wurden die Lager Pley und Mausbach am 17.6. bzw. 18.6. geschlossen und die verbliebenen Bewohner nach Niederbardenberg überführt. Laut den Aufzeichnungen der Gemeinde Bardenberg wurden dann am 19.7. die restlichen 272 jüdischen Bewohner des Lagers "umgesiedelt" [LAV NRW R, BR 1411/352], d.h. in das Sammellager Messehalle nach Köln-Deutz verbracht, um zum größten Teil am nächsten Tag weiter nach Minsk deportiert zu werden. Zu den aus Köln deportierten Menschen gehörten darüberhinaus auch Juden, deren letzte Adresse mit Neußer Str. 592 bzw. Lager Lückerath angegeben ist. Hierbei handelte es sich um Arbeiter der Firma Glanzstoff-Courtaulds, die seit Juni 1942 zusammen mit ihren Familien im Saal der Gaststätte Lückerath in der Neußer Str. 592 in Köln untergebracht waren.


Neben den Kölner Juden wurden in dem Transport nach Minsk Menschen aus dem gesamten Regierungsbezirk Köln verschleppt. In einem Schreiben der Gestapo Köln an die Landräte in Euskirchen, Bergheim, Siegburg, Gummersbach, Köln und Bergisch-Gladbach wurde zuvor angeordnet, dass die für die Deportation vorgesehenen Menschen am 19.7. in der Zeit von 10-15 Uhr nach Köln-Deutz, Westhalle der Messehalle, überführt werden sollten [LAV NRW R, RW 18/18]. Zusätzlich kamen zwei Deportierte aus der Heilanstalt Marsberg im westfälischen Landkreis Brilon. Auch bei den schon erwähnten Auschwitzer Transporten kam es zur "Abwanderung von Insassen deutscher Heil- und Pflegeanstalten" (siehe hier).


Die nachfolgend rekonstruierte Transportliste basiert auf der Zusammenstellung des OFP, dem als die für die Vermögensentziehung verantwortliche Behörde genaue Angaben zu den deportierten Menschen zur Verfügung standen. Fehlerhaft wiedergegebene Namensschreibweisen oder unkorrekte Geburtsdaten wurden z.T. anhand der vom NS-Dokumentationszentrum Köln ermittelten und im Rahmen des Online-Gedenkbuchs "Die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus aus Köln" (siehe hier) veröffentlichten Personendaten korrigiert. In noch bestehenden unklaren Fällen wurde die Angabe des OFP beibehalten.

Köln nach Minsk

Abfahrtsdatum: 20.07.42, Deportierte: 1164

Orte, aus denen deportiert wurde (nach obiger Liste)









Bedburg

3


Hürth

5


Rheidt

7

Blatzheim

9


Junkersdorf

2


Rheinbach (Strafanstalt)

2

Bonn

161


Kerpen

16


Rosbach

18

Brühl

7


Kirchherten

7


Rott

3

Buir

4


Kirspenich

5


Ruppichteroth

11

Eitorf

9


Köln

654


Siegburg

16

Euskirchen

37


Kommern

17


Sieglar

4

Fliesteden

4


Marsberg (Heilanstalt)

2


Sindorf

3

Friesheim

17


Morsbach

4


Sinzenich

8

Glesch

5


Much

45


Stommeln

1

Gymnich

10


Oberbreunfeld

3


Troisdorf

4

Hennef

19


Ödinghausen

3


Zülpich

26

Honnef

3


Quirrenbach

8


Zündorf

3

Dokumente der Reichsbahn

Bericht der SS-Gruppe Arlt

Wie aus erhalten gebliebenen Dokumenten der Haupteisenbahndirektion Mitte in Minsk ersichtlich ist, sollte der Kölner Transportzug mit der Bezeichnung Da 219 nach Halt in Wolkowysk (mit Umstieg von Personen- auf Güterwagen) und Baranowitsche am 23.7. um 10.22 Uhr fahrplanmäßig in Kojdanowo ankommen und dort für einen Tag abgestellt werden. Erst am nächsten Morgen war die Weiterfahrt in Richtung Minsk Güterbahnhof vorgesehen. Die Ankunft des Transportzuges, bestehend aus einem Personenwagen und 31 Güterwagen, wird durch die Bahn am 24.7. um 5.45 Uhr bestätigt. Laut Bahndokument befanden sich im Zug, in Übereinstimmung mit den Angaben von Wülfrath, 1164 Menschen, davon 117 Kinder unter 10 Jahren [USHMM, RG-53.002].


Noch am gleichen Tag, am 24.7.42, wurden die Menschen aus dem Kölner Transport ermordet. Dies geht aus dem "Tätigkeitsbericht" der Gruppe des SS-Unterscharführers Arlt vom 3.8. hervor, in dem es heißt: "Am 21., 22. und 23.7. werden neue Gruben ausgehoben. Am 24.7. trifft bereits wieder ein Transport mit 1000 Juden aus dem Reich hier ein. Vom 25.7. bis 27.7. werden neue Gruben ausgehoben. Am 28.7. Großaktion im Minsker russ. Ghetto. 6000 Juden werden zur Grube gebracht. Am 29.7. 3000 deutsche Juden werden zur Grube gebracht. Die nächsten Tage waren wieder mit Waffenreinigen und Sacheninstandsetzen ausgefüllt." [Unsere Ehre heißt Treue, Wien 1965, S. 242]


Reproduziert sind im Folgenden die Fahrplananordnung zum Kölner Transport sowie die Ankunftsnotiz der Haupteisenbahndirektion Mitte, dazu der "Tätigkeitsbericht" des SS-Unterscharführers Arlt. Die Dokumente befinden sich als Kopie in den Yad Vashem Archives (O.53/1 bzw. M.38/136) und wurden im Rahmen des Projekts "Zugfahrten in den Untergang" online zugänglich gemacht.

©TF 2022 mail(at)statistik-des-holocaust.de