Statistik und Deportation
der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich

Gelsenkirchen - Dortmund nach Riga

Abfahrtsdatum: 27.01.42, Deportierte: 1003

Der Teiltransport aus Gelsenkirchen verließ den dortigen Güterbahnhof am frühen Morgen des 27.1., nachdem die Menschen zuvor mehrere Tage in den in der Nähe gelegenen Hallen am Wildenbruchplatz konzentriert wurden. In der Gelsenkirchener Stadtchronik heißt es mit Eintrag vom 27.1.42: "In den städtischen Ausstellungshallen ist ein Juden-Sammeltransport zusammengestellt worden. Es handelt sich um 506 Juden aus dem Präsidialbezirk Recklinghausen, die heute nach den Ostgebieten evakuiert werden. Unter ihnen befinden sich 350 Personen aus Gelsenkirchen. Vorerst verbleiben in unserer Stadt noch 132 meist alte und kränkliche Juden." [StadtA Gelsenkirchen, Chronik der Stadt Gelsenkirchen, Bd. 14, 1942]. Offensichtlich kam es kurz vor der Abfahrt noch zu Änderungen bzw. Zurückstellungen. Zumindest ein Selbstmord ist bezeugt [A. Niewerth, Gelsenkirchener Juden im Nationalsozialismus, Essen 2002, S. 161]. Die Monatsstatistik der Reichsvereinigung verzeichnete im Januar 1942 für den Gestapobezirk Münster, zu dem Gelsenkirchen gehörte, schließlich 502 Deportierte.


Für Gelsenkirchen sind verschiedene Transportlisten aus Nachkriegsaufstellungen der Jüdischen Kultusgemeinde bekannt, darunter eine Liste der “Mitglieder der Jüdischen Kultusgemeinde, die am 27. 1. 1942 verschleppt wurden und nicht zurückgekehrt sind”, die 374 Personen aufführt, und eine “Liste der Juden aus Gelsenkirchen - Buer - Horst, die nach Riga verschleppt wurden” mit 349 Namen [A. Niewerth, Gelsenkirchener Juden im Nationalsozialismus, Essen 2002, S. 357-365, 370-385]. Nach Abgleich der Quellen kann davon ausgegangen werden, dass die zweite Liste (siehe nachstehend die Kopie aus dem Stadtarchiv Gelsenkirchen) die Namen der Personen aufführt, die letztendlich für den Abtransport eingeteilt waren. Von ihnen waren nach den Angaben der Liste 9 Menschen flüchtig, Helene Lewek hat sich im Sammellager das Leben genommen. 339 jüdische Einwohner Gelsenkirchens haben am 27.1. den Deportationszug bestiegen.

Bei einem Zwischenhalt in Dortmund sind weitere, zuvor im Saal der Gaststätte Zur Börse in der Nähe des Hauptbahnhofs konzentrierte jüdische Menschen zugestiegen. Die Statistik der Reichsvereinigung hatte im Januar 1942 für den Bereich der Gestapo Dortmund (Regierungsbezirk Arnsberg) 500 Deportierte registriert, davon 332 aus dem Bereich der Kultusvereinigung Dortmund und 168 aus dem übrigen Regierungsbezirk. Im Februar 1942 wurde eine Person nachgemeldet. Der Transport hatte demnach eine Gesamtstärke von 1003 deportierten Juden.


In einem bereits am 19.11.41 von der Staatspolizeistelle Dortmund an den Oberbürgermeister der Stadt Dortmund, Ernährungsamt, übersandten "Verzeichnis der Juden aus Dortmund die für eine Evakuierung infrage kommen" heißt es: "Die Geheime Staatspolizei hat Weisung erhalten, am 12.12. 500 Dortmunder Juden nach dem Osten zu befördern." Aufgeführt sind 498 Menschen aus Dortmund und 2 aus Hamm [Max Kreutzberger Collection, Leo Baeck Institute, MF 798; siehe  hier]. Die Liste enthält eine große Zahl von Namen Dortmunder Juden, die nicht mit dem schließlich auf den 27.1.42 verschobenen Transportzug, sondern zu einem späteren Zeitpunkt deportiert wurden.

Orte, aus denen deportiert wurde (Regierungsbezirk Münster)









Bocholt

2


Dorsten

13


Lembeck

2

Borghorst

1


Gelsenkirchen

339


Lüdinghausen

4

Bork

3


Gladbeck

2


Münster

12

Bottrop

9


Haltern

5


Recklinghausen

85

Burgsteinfurt

6


Herten

4


Rheine

3

Datteln

11


Ibbenbüren

1




Wie aus der Gestapoliste vom 19.11.41 ersichtlich, sollten ursprünglich fast ausnahmslos Juden aus Dortmund im ersten Deportationszug “nach dem Osten” abtransportiert werden. Zum Zeitpunkt der Deportation am 27.1.42 war schließlich jedoch neben Dortmundern auch eine große Zahl jüdischer Einwohner der benachbarten Stadtkreise Bochum, Castrop-Rauxel, Herne, Wanne-Eickel, Wattenscheid und Witten betroffen. Welche Anordnungen der Gestapo zu diesen Änderungen in den Planungen führte, ist nicht bekannt.


Die Namensliste der 501 deportierten Juden aus dem Regierungsbezirk Arnsberg kann ebenfalls vollständig rekonstruiert werden. Als Grundlage der nachfolgenden Zusammenstellung dienten Forschungsarbeiten in Bezug auf Bochum [H. Schneider, Die “Entjudung” des Wohnraums - “Judenhäuser” in Bochum: die Geschichte der Gebäude und ihrer Bewohner, Berlin u.a. 2010], Castrop-Rauxel [D. Scholz, Die Deportation der letzten Juden aus Castrop-Rauxel in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslagern im Jahre 1942/43, in: Kultur und Heimat 65 (2014), S. 34-52], Dortmund [R. Fischer, Verfolgung und Vernichtung: die Dortmunder Opfer der Shoah, Essen 2015], Herne und Wanne-Eickel [R. Piorr, “Nahtstellen, fühlbar, hier ...”: zur Geschichte der Juden in Herne und Wanne-Eickel, Essen 2002] und Witten [M. Kliner-Lintzen u.a., “... vergessen kann man das nicht”: Wittener Jüdinnen und Juden unter dem Nationalsozialismus, Bochum 1991] sowie weitere Hinweise der Autoren. Für Herne liegt darüberhinaus eine Transportliste der Gestapo vor (Hinweis von R. Piorr). Für eine Reihe von Städten, darunter Wattenscheid, gibt es Listen aus Meldeunterlagen, die sich im Archiv des ITS befinden. Diese, wie auch die rekonstruierte Transportliste im “Buch der Erinnerung. Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden” (Bd. 2, München 2003, S. 833-861), sind jedoch unvollständig. Von großer Bedeutung sind weiterhin die Akten der früheren Devisenstellen, der Ämter für gesperrte Vermögen, die Rückerstattungsakten der Landgerichte sowie Wiedergutmachungsakten (Hinweise von C. Rehr, Landesarchiv NRW), mit deren Hilfe fehlende bzw. lückenhafte Angaben für die folgende Zusammenstellung vervollständigt und überprüft werden konnten.


Anzumerken ist, dass sich die in der Liste verzeichnete letzte Adresse für die Dortmunder Juden auf den Stand vom 1.6.41 bezieht [U. Knipping, Die Geschichte der Juden in Dortmund während der Zeit des Dritten Reiches, Dortmund 1977, S. 184-215], für die übrigen Städte auf den Zeitpunkt der Deportation. Vereinzelte Adressänderungen Dortmunder Juden in der Gestapoliste vom 19.11.41 wurden nicht berücksichtigt.

Neben den Juden aus Gelsenkirchen wurden auch 85 jüdische Einwohner Recklinghausens nach Riga deportiert. Dies ergibt sich durch eine Auswertung der Meldeunterlagen [G. Möllers, J. Pohl (Hrsg.), Abgemeldet nach “unbekannt” 1942, Essen 2013], ergänzt durch weitere Dokumente des Stadtarchivs Recklinghausen (Hinweise durch Dr. Matthias Kordes) sowie das Online-Gedenkbuch der Stadt (siehe hier). Als Abmeldedatum aus Recklinghausen “nach unbekannt” ist zumeist der 24.1. vermerkt, der Tag, an dem die für den Transport vorgesehenen Menschen mit Lastwagen in das Sammellager nach Gelsenkirchen überführt wurden.


Die folgende Zusammenstellung der 502 mit dem Teiltransport aus dem Regierungsbezirk Münster deportierten Juden basiert neben den genannten Quellen für Gelsenkirchen und Recklinghausen auf den Meldeunterlagen der Stadtkreise Bocholt, Bottrop und Gladbeck, sowie der Landkreise Recklinghausen, Steinfurt und Tecklenburg, die sich im Archiv des ITS befinden bzw. in der Sammlung Brilling des Leo Baeck Instituts (siehe hier). Hinsichtlich der Deportierten aus Münster wird auf Forschungsarbeiten in der Literatur verwiesen [G. Möllenhoff, R. Schlautmann-Overmeyer, Jüdische Familien in Münster 1918-1945, Teil 2,2, S. 1037]. Für den Landkreis Lüdinghausen liegt eine Gestapoliste vor [StA Münster, Kreis Lüdinghausen, Landratsamt/1133]. Als Grundlage kann auch die rekonstruierte Transportliste im “Buch der Erinnerung. Die ins Baltikum deportierten deutschen, österreichischen und tschechoslowakischen Juden” (Bd. 2, München 2003, S. 833-861) herangezogen werden, die jedoch unvollständig ist sowie einer Reihe von Korrekturen bedarf.

Orte, aus denen deportiert wurde (Regierungsbezirk Arnsberg)









Bochum

85


Herne

41


Wattenscheid

3

Castrop-Rauxel

8


Wanne-Eickel

14


Witten

18

Dortmund

332







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