Die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus den zum Altreich gehörenden Stadtkreisen
Beuthen, Gleiwitz und Hindenburg sowie den Landkreisen Beuthen-
So weist Justizrat Adolph Kochmann, Leiter der Verwaltungsstelle Gleiwitz der Bezirksstelle Schlesien der Reichsvereinigung, in einem Schreiben vom 21.5.42 an den Leiter der Berliner Zentrale, Dr. Paul Eppstein, darauf hin, "daß hinsichtlich der Altersgrenzen, die für das Altreich bei den Abwanderungen sonst eingehalten werden, das Ergebnis der Besprechung insofern ein negatives war, als erklärt wurde, daß die Entscheidung darüber den örtlichen Behörden zustände." Weiter schreibt er: "Wir bedauern im Interesse unserer Mitglieder, daß, obwohl die Stadt Gleiwitz zum Altreich gehört, nicht Bestimmungen zur Anwendung gelangten, die für dieses Gebiet sonst zu beachten sind. Wir würden Ihnen dankbar sein, wenn Sie nochmals den Versuch machen könnten, in dieser Beziehung etwas zu erreichen." [ZIH 112/131]
In einem Brief an Erwin Schohan aus Berlin, der sich nach seiner Mutter, der 81jährigen
Rosa Schohan aus Gleiwitz, erkundigte, schreibt Adolph Kochmann am 28.5.42: "Ihnen
dürfte bekannt geworden sein, daß auch in Oberschlesien in der letzten Zeit Abwanderungen
erfolgt sind, bei denen, soweit es sich um die zum Regierungsbezirk Kattowitz gehörigen
Gemeinden Beuthen-
Die Einzeltransporte aus Beuthen und Gleiwitz sind gut dokumentiert, zu Hindenburg
fehlen dagegen jegliche Aufzeichnungen. Für Beuthen bekannt ist ein "Namensverzeichnis
aller aus Beuthen O/S ausgesiedelten Juden" in einer Abschrift aus dem Archiv des
ITS. Enthalten sind die Namen von 969 Menschen mit letzter Adresse in Beuthen und
12 Menschen im Landkreis Beuthen-
Beuthen -
Abfahrtsdatum: 14.05.-
Der erste Transport verließ Gleiwitz am 16.5.42 mit den 65 Bewohnern der "Judenhäuser" Oberwallstr. 14 und Bahnhofstr. 4. Von den folgenden Transporten am 20.5., 28.5. und 8.6. ist bekannt, dass sich die Betroffenen am Abend vor der Deportation im Polizeipräsidium einzufinden hatten und dort die Nacht verbrachten, bevor sie am nächsten Morgen weggebracht wurden [ZIH 112/131]. Im Juni gab es am 15.6., 23.6. und 29.6. drei weitere Transporte aus Gleiwitz. Entsprechend den Angaben auf den Listen der beiden letzten Deportationen hatten sich die Menschen am Morgen des Abtransports im Polizeipräsidium einzufinden, wobei die Mitnahme von 10 kg Gepäck (Rucksack) sowie von Verpflegung für zwei Tage erlaubt waren [ZIH 112/53]. Nach dem letzten Abtransport vom 29.6.42 waren noch 42 Gemeindemitglieder, einschließlich der in Mischehe lebenden, in Gleiwitz zurückgeblieben [ZIH 112/15o]. In einem Schreiben vom 6.7.42 stellte Adolph Kochmann fest: "Die hiesige Gemeinde ist, ebenso wie die Nachbargemeinden Beuthen und Hindenburg, zur Auflösung gelangt." [ZIH 112/161]
Eine Reihe von Transportlisten ist im Bestand Gemeinde Gleiwitz des Jüdischen Historischen
Instituts in Warschau erhalten geblieben. Hierzu gehört eine "Liste der evakuierten
Juden", die alle sieben Gleiwitzer Transporte einschließt und als Vorlage der Arbeiten
von Ernst Lustig [ZIH 112/166, siehe auch hier] und Karol Jonca [Śląski Kwartalnik
Historyczny Sobótka, 46, 219-
Nach den Erinnerungen des späteren Gleiwitzer Vertrauensmannes der Reichsvereinigung
Erich Schlesinger wurden die zur Deportation bestimmten Menschen mit Autos weggebracht
[Leo Baeck Institute, AR 151, siehe hier]. Bekannt ist, dass der Gleiwitzer Transport
vom 28.5. über Bendsburg geleitet wurde [ZIH 112/131] und der vom 23.6. über Krzepice
[ZIH 112/53]. Auch die Beuthener Transporte vom 28.5. und 23.6. wurden über Bendsburg
bzw. Krzepice geleitet. Es kann daher angenommen werden, dass die aus Beuthen, Gleiwitz
und Hindenburg Deportierten zunächst zu den gleichen Zwischenstationen im ehemals
polnischen Teil Oberschlesiens gefahren wurden. Diese sind aus der Beuthener Liste
vollständig bekannt (siehe oben). Sosnowitz und Bendsburg z.B. waren nur knapp 20
km von Beuthen und 40 km von Gleiwitz entfernt, Krzepice 90 km. Es handelt sich um
Orte, aus denen im Mai und Juni 1942 Tausende Menschen nach Auschwitz deportiert
wurden, so beispielsweise am 14.5. aus Sosnowitz und am 16.5. aus Bendsburg [W. Curilla,
Der Judenmord in Polen und die deutsche Ordnungspolizei 1939-
Weder der Gleiwitzer Gemeinde noch der Zentrale der Reichsvereinigung war der letztendliche Zielort der Deportation bekannt. Dies geht aus Schreiben hervor, mit denen Adolph Kochmann auf Anfragen nach dem Verbleib von Gleiwitzer Juden antwortete [ZIH 112/33]. Bei den Transporten vom 16.5. und 20.5. wurde noch angenommen, dass die Deportierten zunächst nach Theresienstadt gebracht worden sind [ZIH 112/131]. Am 25.9.42 wandte sich Adolph Kochmann an die Berliner Zentrale: "Über das Schicksal der Abgewanderten sind bisher keinerlei Nachrichten zu uns gelangt. Da aus Berlin, Breslau und anderen Gemeinden die über 65 Jahre alten Personen nach Theresienstadt gebracht sein sollen, haben wir die Hoffnung, daß auch Mitglieder unserer Gemeinde dorthin gelangt sind." In ihrer Antwort vom 5.10.42 wird durch die Zentrale der Reichsvereinigung jedoch mitgeteilt: "Der derzeitige Aufenthalt der im Mai und Juni aus Oberschlesien Abgewanderten ist uns bisher nicht bekannt." [ZIH 112/131]
Die Gesamtzahl der in diesen beiden Monaten aus Beuthen, Gleiwitz, Hindenburg und den Nachbargemeinden deportierten Juden kann mit Hilfe der Statistik der Reichsvereinigung ermittelt werden. Im Mai 1942 wurden für den Regierungsbezirk Kattowitz (Altreichkreise) 693 Deportierte registriert. Im Juni 1942 fehlt die Angabe für Kattowitz. Insgesamt wurden 1219 Deportierte aus Schlesien registriert, davon 1 aus dem Regierungsbezirk Oppeln. Da aus Niederschlesien keine Transporte im Juni abgegangen sind, kann die Zahl der Deportierten aus dem Regierungsbezirk Kattowitz mit 1218 ermittelt werden. Im Juli 1942 wurden aus diesem noch einmal 50 Deportierte registriert. Es ist aufgrund der Sonderstellung des Gestapobezirks Kattowitz hinsichtlich der Durchführung der Deportationen allerdings anzunehmen, dass es sich hierbei um eine Nachmeldung für die Vormonate handelte, zumal auch aus dem zuvor erwähnten Schreiben der Reichsvereinigung entnommen werden kann, dass die Transporte aus Oberschlesien in den Monaten Mai und Juni 1942 erfolgt sind.
Die folgende Aufstellung der jüdischen Bevölkerungszahlen für Oberschlesien (Altreichkreise)
[ZIH 112/15o, BA R 8150/29] unterstützt diese Annahme. Ausgehend von den bekannten
Deportationszahlen für Beuthen, Gleiwitz sowie die Landkreise Beuthen-
Im Folgenden wird der Versuch einer Rekonstruktion der Namensliste der Deportierten aus Hindenburg unternommen. Grundlage hierfür sind, aufgrund der fehlenden zeitgenössischen Unterlagen, die Angaben zu den jüdischen Einwohnern zum Zeitpunkt der Volkszählung vom 17.5.39, die im Rahmen des Projekts "Mapping the Lives" veröffentlicht wurden (siehe hier), unter Berücksichtigung der nachfolgend bekannten Sterbefälle, Wegzüge, Emigrationen und Deportationen. Eine große Unterstützung bei der Rekonstruktion bietet die Datenbank "Juden in Zabrze" des Stadtmuseums Zabrze (siehe hier), die zugleich eine Korrektur der z.T. fehlerhaften Personendaten aus den Unterlagen der Volkszählung ermöglicht (Hinweis von Piotr Hnatyszyn, Stadtmuseum Zabrze). Insgesamt können auf dieser Basis die Namen von 368 Juden ermittelt werden, von denen mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass sie 1942 aus Hindenburg deportiert worden sind.
Stadt- |
Jüdische Bevölkerung |
Deportationen |
Jüdische Bevölkerung | |
Regierungsbezirk Kattowitz |
am 1.1.1941 |
im Mai/Juni 1942 |
am 1.11.1942 | |
|
|
|
|
|
Stadtkreise |
Beuthen [1] |
1106 |
973 |
51 |
|
Gleiwitz |
692 |
576 |
77 |
|
Hindenburg |
425 |
(375) |
37 |
Landkreise |
Beuthen- |
|
|
|
|
Klausberg |
8 |
8 |
9 |
|
Randsdorf |
0 |
0 |
1 |
|
Tost- |
|
|
|
|
Kressengrund |
1 |
0 |
1 |
|
Laband |
1 |
0 |
1 |
|
Langendorf |
5 |
4 |
0 |
|
Peiskretscham |
18 |
11 |
5 |
|
Tost |
13 |
14 |
3 |
|
|
|
|
|
|
Gesamt |
2269 |
1961 |
185 |
[1] Einschließlich Birkenhain, Bobrek- |
16.5.-
16.5.-
Mit den Transporten vom Mai und Juni 1942 wurden die Juden aus dem altdeutschen Teil des oberschlesischen Regierungsbezirks Kattowitz einschließlich der Alten und Kranken fast geschlossen abtransportiert. Die vom RSHA für die Gestapostellen des Altreichs erlassenen Anweisungen zur Deportation der jüdischen Bevölkerung wurden hierbei, im Unterschied beispielsweise zum oberschlesischen Regierungsbezirk Oppeln, mit Duldung des RSHAs nicht berücksichtigt, was vermutlich auch darauf zurückgeführt werden kann, dass sich die zuständige Staatspolizeileitstelle Kattowitz im ehemals polnischen Gebiet und nicht im Altreichsgebiet befand. Spätere Transporte alter Juden nach Theresienstadt fanden dadurch, im Gegensatz zu allen anderen Regionen Deutschlands einschließlich des Regierungsbezirks Oppeln, nicht mehr statt. Auch Transporte in den "Osten" waren nur noch vereinzelt feststellbar, so der in Gleiwitz verbliebenen Juden, die im Rahmen der Fabrikaktion abtransportiert wurden (siehe hier).
©TF 2022, mail(at)statistik-
Jüdische Bevölkerung in Deutschland |
Jüdische Bevölkerung in Berlin |
Kultusvereinigungen und Bezirksstellen |
Deportation der Juden aus Deutschland |
Jüdische Auswanderung aus Deutschland |
Volkszählung von 1933 |
Volkszählung von 1939 |
Volkszählung von 1946 |
Bayern |
Berlin |
Brandenburg-Ostpreußen |
Hessen/Hessen-Nassau |
Mitteldeutschland |
Nordwestdeutschland |
Rheinland |
Schlesien |
Südwestdeutschland |
Westfalen |
I. Transport |
II. Transport |
III. Transport |
IV. Transport |
Brandenburg |
Pommern/Ostpreußen |
Sachsen/Thüringen |
Sudetenland |
13.07.42 nach Auschwitz |
1943 nach Auschwitz |
13.11.-16.12.42 nach Theresienstadt |
1943-45 nach Theresienstadt |
Baden |
Pfalz |
Saarland |