Stettin nach Lublin
Abfahrtsdatum: 13.02.40, Deportierte: 1107
Mit der Deportation vom 13.2.40 war nicht nur das Schicksal der Stettiner Kultusgemeinde
und der Juden in Vorpommern besiegelt, sondern zugleich der Auftakt zur "Endlösung
der Judenfrage" in Deutschland (Altreich) lange vor dem Einsetzen der systematischen
Deportationen im Herbst 1941 gegeben. In einer Besprechung unter dem Vorsitz des
Chefs des Reichssicherheitshauptamts Heydrich zur "Durchführung der vom Führer verfügten
Umsiedlungsaufgaben" wurden am 30.1.40 die weiteren Aussiedlungen von Polen und Juden
aus den eingegliederten polnischen Gebieten in das Generalgouvernement abgestimmt,
mit denen Platz für einzusiedelnde Balten-
Die Zahl der aus Stettin deportierten Menschen wird von Eichmann laut dem oben abgebildeten
Gesprächsprotokoll der Reichsvereinigung vom 15.2.40 (Punkt 8 auf Seite 3) mit 1028
angegeben. In einer Jahresstatistik für 1940 geht die RV später von 1025 "Auswanderern"
aus [BA R 57/49], wobei angenommen werden kann, dass hierbei die Eichmann-
Ermittelt werden kann die tatsächliche Zahl der am 13.2.40 deportierten Menschen mittels einer vom Judenrat in Lublin im Februar 1941 erstellten Namensliste [vgl. Die Namensliste der 1940 aus dem Regierungsbezirk Stettin deportierten Juden, Rostock 2009]. Die Liste enthält die Namen von 1125 Menschen und handschriftliche Ergänzungen (bis Mai 1942). Nach Abzug von Doppelnennungen sowie der 4 in Lublin geborenen Kinder verbleiben die Namen von 1107 Deportierten. Die auf der letzten Seite teilweise unvollständig erhaltenen handschriftlichen Eintragungen lassen sich dabei mit den Listen der Verstorbenen abgleichen und ergänzen. Auf der Rückseite des letzten Blattes befindet sich noch ein Eintrag für ein am 8.7.41 in Lublin geborenes Kind (Rafael Eisner).
Überprüft werden kann die so ermittelte Zahl anhand der Angaben von Fritz Gabriel, der als Stettiner in der Emigrationsabteilung des Judenrats in Lublin tätig war, in einem Telefonat mit der Abteilung Fürsorge der Reichsvereinigung am 19.2.41. Danach betrugen die Mitgliederzahlen der einzelnen "Gruppen", d.h. der in den verschiedenen Gettos des Distrikts Lublin befindlichen Deportierten aus Stettin, in Piaski 525, Belzyce 245, Glusk 68, Lublin 10 und Bychawa 4, insgesamt 852 Menschen [BA R 8150/483]. Bis zu diesem Zeitpunkt waren laut der Liste der Verstorbenen bereits 251 Menschen gestorben. Nach Abzug der am Deportationsort geborenen Kinder (4) sowie Hinzufügung der laut Namensliste vom Februar 1941 bekannten Rückführungen und "Umzüge" (8) ergeben sich ebenfalls 1107 Deportierte.
Abgebildet ist nachfolgend die Namensliste in einer Kopie des USHMM, Bestand RG-
Liste der Verstorbenen vom 16.2.40-
Nov. 1941
Dez. 1941
Jan. 1942
Feb. 1942
Mär. 1942
Apr. 1942
Orte, aus denen deportiert wurde | |||||||
|
|
|
|
|
|
|
|
Altdamm |
21 |
|
Jacobshagen |
4 |
|
Stettin |
846 |
Anklam |
12 |
|
Kolberg |
1 |
|
Stralsund |
34 |
Crien |
2 |
|
Kolzow |
4 |
|
Swinemünde |
20 |
Finkenwalde |
5 |
|
Löcknitz |
20 |
|
Wolgast |
3 |
Fraustadt |
1 |
|
Pasewalk |
12 |
|
Wollin |
15 |
Gollnow |
17 |
|
Podejuch |
2 |
|
Zachan |
4 |
Greifenhagen |
1 |
|
Putzig |
1 |
|
Züllchow |
1 |
Greifswald |
4 |
|
Risnow |
2 |
|
unbekannt |
6 |
Grünewald |
1 |
|
Schiefelbein |
1 |
|
|
|
Heringsdorf |
6 |
|
Stargard |
61 |
|
|
|
Protokolle der RV vom 15.2.40
17.2.40
23.2.40
"Politiken" vom 17.2.40
Nach 3 Tagen Fahrt kam der Deportationszug am 16.2.40 in Lublin an, von wo aus die
Menschen auf die Gettos von Piaski, Belzyce und Glusk verteilt wurden. Ein großer
Teil war jedoch nach den Strapazen des Transports direkt in das Lubliner Spital eingewiesen
worden, in dem noch am Tag der Ankunft 10 Verstorbene registriert wurden. Innerhalb
nur eines Monats wurden an den Deportationsorten etwa 80 Tote aus dem Stettiner Transport
registriert, wie aus der erhalten gebliebenen "Liste der aus Stettin und dem Regierungsbezirk
Stettin in den Distrik Lublin des G.G. evakuierten und verstorbenen Juden vom 16.2.1940
-
Bei einigen Namen ist auf den ersten vier Seiten der Liste handschriftlich "ausgesiedelt"
vermerkt, teilweise mit der Angabe "42" oder "4.42". Auf den nachfolgenden Seiten
finden sich diese Eintragungen nicht mehr. Die Vermerke betreffen ausschließlich
Menschen, die in Piaski untergebracht waren. Von hier erfolgte der Abtransport eines
Großteils der Stettiner Juden in das Vernichtungslager Belzec am 5.4.42. Lediglich
etwa 95 Menschen aus dieser Gruppe sind danach (vorerst) in Piaski verblieben [E.
R. Behrend-
Die Namensliste enthält auch einen Vermerk zur "Rasse" der Deportierten. Hieraus
ergibt sich, dass 20 "Arier" ihre jüdischen Familienangehörigen begleitet haben.
Unter ihnen befand sich Hildegard Baer, die zusammen mit ihrem Mann in das Getto
von Belzyce eingewiesen wurde und bei der in der Namensliste "nach Deutschland zurück"
mit dem handschriftlichen Zusatz "in Lublin" verzeichnet ist. Nach dem Tod ihres
Mannes hatte sie im Herbst 1940 offensichtlich illegal als Landarbeiterin im Reichsgebiet
gearbeitet. Bei einer Überprüfung durch den Stadthauptmann von Lublin wurde im Mai
1941 festgestellt: "Frau B. ist arischer Abstammung und hat beim SD, Judenreferat,
einen Antrag auf Erteilung der Rückkehrgenehmigung nach Stettin eingereicht... Die
Aussichten auf Genehmigung werden vom SD als äußerst fragwürdig bezeichnet, da seinerzeit
in Stettin allen arischen Personen, die mit Juden verheiratet waren, genehmigt worden
ist unter der Voraussetzung der Trennung vom jüdischen Ehepartner, in Stettin zu
verbleiben. Frau B. hat hiervon nicht Gebrauch gemacht, sondern ist ihrem jüdischen
Ehemann nach Lublin gefolgt." [BA R 102-
Auf der Basis der Namensliste wurden die Herkunftsorte der Deportierten vom 13.2.40 nachfolgend zusammengestellt. Fehlende Angaben konnten mit Hilfe des Gedenkbuchs des Bundesarchivs zum Teil vervollständigt werden. Lediglich bei 6 Personen war der frühere Wohnort nicht zu ermitteln. Von den 1107 Menschen kamen mindestens 846 aus Stettin. Insgesamt waren 27 Orte in Pommern von der Deportation betroffen.
Ob der Abtransport der Stettiner Juden aus kriegswirtschaftlichen Gründen erfolgte,
wie in der RSHA-
In einer zu späteren Zeitpunkten nicht mehr vorstellbaren Form äußerten die Vertreter der Reichsvereinigung bei einer Vorladung ins RSHA am 15.2.40 gegenüber Eichmann ihr Unverständnis über die Deportation aus Stettin und deren Umstände und verwiesen darauf, "dass in der letzten Woche seitens der Behörde erklärt worden sei, dass einstweilen im Altreich solche Abtransporte nicht stattfänden, dass zwar eine Endlösung in dieser Richtung erwogen werde, über die jedoch rechtzeitig eine Mitteilung erfolgen werde. Es wird weiter darauf aufmerksam gemacht, dass die Arbeit der Reichsvereinigung sinnlos werde, wenn solche Abtransporte stattfänden. Es kommen die besonderen Härten hinzu, unter denen der Abtransport aus Stettin binnen sieben Stunden erfolgt sei... Es wird darauf verwiesen, dass die Reichsvereinigung ihre Arbeit aufs schärfste durch solche Vorkommnisse wie in Stettin gefährdet sehe..." Die Protokolle der RV aus den Vorladungen im RSHA in den Tagen nach der Deportation sind durch das Leo Baeck Institute in den Sammlungen von Max Kreutzberger bzw. Walter und Johanna Rischowsky online zugänglich gemacht worden. Aus letzterer Sammlung stammen die unten abgebildeten Reproduktionen, siehe hier.
Der Ablauf der Deportation wurde trotz der üblichen Geheimhaltungsmaßnahmen in der
Auslandspresse in bemerkenswerten Einzelheiten geschildert. Unter der Überschrift
"Deutschland deportiert Staatsangehörige" veröffentlichte die dänische Zeitung "Politiken"
bereits am 17.2. einen Artikel, in dem u.a. geschildert wird: "In den Nachtstunden
des 12. zum 13. Februar wurden in Stettin sämtliche Juden abtransportiert... Zwischen
3 und 4 Uhr am Morgen des 13. Februar wurden die Juden mit Frauen und Kindern ohne
Rücksicht auf ihr Alter und ihren Gesundheitszustand durch je zwei Posten der SS
und der SA aus ihren Wohnungen geholt und zum Güterbahnhof Stettin gebracht, von
wo aus der Abtransport nach Ostpolen in den frühen Morgenstunden des Dienstag erfolgte.
Auch die Insassen der beiden jüdischen Altersheime in Stettin, ca. 82 Personen, darunter
Frauen und Männer über 90 Jahre, wurden deportiert. Soweit sie nicht mehr zu gehen
imstande waren, wurden sie auf Tragbahren zum Güterbahnhof gebracht... Bereits auf
der Durchfahrt durch Schneidemühl -
©TF 2022, mail(at)statistik-
Jüdische Bevölkerung in Deutschland |
Jüdische Bevölkerung in Berlin |
Kultusvereinigungen und Bezirksstellen |
Deportation der Juden aus Deutschland |
Jüdische Auswanderung aus Deutschland |
Volkszählung von 1933 |
Volkszählung von 1939 |
Volkszählung von 1946 |
Bayern |
Berlin |
Brandenburg-Ostpreußen |
Hessen/Hessen-Nassau |
Mitteldeutschland |
Nordwestdeutschland |
Rheinland |
Schlesien |
Südwestdeutschland |
Westfalen |
I. Transport |
II. Transport |
III. Transport |
IV. Transport |
Brandenburg |
Pommern/Ostpreußen |
Sachsen/Thüringen |
Sudetenland |
13.07.42 nach Auschwitz |
1943 nach Auschwitz |
13.11.-16.12.42 nach Theresienstadt |
1943-45 nach Theresienstadt |
Baden |
Pfalz |
Saarland |