Statistik und Deportation
der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich

Stuttgart - München - Chemnitz nach Auschwitz

Abfahrtsdatum: 13.07.42, Deportierte: 53 (nur Stuttgart, Gesamtstärke: ?)

Am 13.7.42 wurden aus Württemberg und Hohenzollern 49 Juden über München nach Auschwitz deportiert. Diese Angaben finden sich übereinstimmend in den Unterlagen des früheren Vertrauensmanns der Reichsvereinigung Alfred Marx (siehe hier) und in der Monatsstatistik der Reichsvereinigung für Juli 1942, die weiter aufschlüsselt, dass 44 Personen aus Württemberg und 5 aus Hohenzollern stammten.


Der Transport war ursprünglich für den 20.6.42 vorgesehen und sollte in das Generalgouvernement geführt werden, wozu es aber aufgrund einer Mitte Juni einsetzenden Transportsperre bei der Reichsbahn nicht kam. Die früheren Planungen sind anhand des Schriftverkehrs der Gestapo Stuttgart mit den Landratsämtern bekannt. Dort heißt es in einem Schreiben vom 10.6.: "Am 20.6.42 geht (von München aus) ein weiterer Transport mit Juden nach dem Generalgouvernement. Zu diesem Transport sind vom dortigen Kreis die in beiliegender Liste namhaft gemachten Juden eingeteilt und von der Jüd. Kultusvereinigung, Stuttgart, schriftlich davon verständigt. Die Juden werden in einem Sammellager in Stuttgart zusammengefaßt und am 19.6.42 morgens nach München verschubt." Zwei Tage später, am 12.6., wurden die Vorbereitungen "infolge plötzlich aufgetretener Verkehrsschwierigkeiten" gestoppt, bis am 7.7. ein neuer Erlass der Gestapo Stuttgart festlegte: "Die mit Erlass vom 12.6.42 ... vorerst zurückgestellte Judenabschiebung findet nun am 13.7.42 statt. Sämtliche mit Erlass vom 10.6.42 namhaft gemachten Juden sind am Freitag, den 10.7.42, nach Stuttgart zu verschuben." [HStA Stuttgart, EA99/001, Bü275]


Im Landkreis Biberach wurden 13 Menschen deportiert, darunter 3 aus Laupheim und 10 aus der jüdischen Abteilung der katholischen Heil- und Pflegeanstalt Heggbach. Am 8.7.42 wurden zu den beiden bereits am 10.6. für den Transport "namhaft gemachten" Bewohnern der Pflegeanstalt, der 12jährigen Käthe Krämer und des 49jährigen Felix Morgenroth, 8 weitere Insassen für den Transport eingeteilt [HStA Stuttgart, EA99/001, Bü235]. Dieser Erlass der Gestapo Stuttgart trägt nunmehr den Vermerk "Geheim", und die neu eingeteilten Menschen sind größtenteils über 65 Jahre alt, was den einschlägigen Bestimmungen des RSHA zuwider gelaufen wäre, nach denen diese Personen für die Deportation nach Theresienstadt vorgesehen waren. Eine ehemalige Angestellte der Jüdischen Kultusvereinigung hat später ausgesagt, dass die alten Menschen "vollständig gebrechlich" waren und auf Tragbahren nach Stuttgart gebracht werden mussten [D. Naeve, Geschichte der Pflegeanstalt Heggbach und des Kinderasyls Ingerkingen im Nationalsozialismus 1933-1945, Eitorf 2000, S. 154]. Der Gendarmerie-Einzelposten Maselheim meldete dem Landrat von Biberach am 11.7.42: "Die Heil- u. Pflegeanstalt Heggbach ist somit von Juden frei." [HStA Stuttgart, EA99/001, Bü235]


Im Landkreis Hechingen waren mit dem Schreiben der Gestapo Stuttgart vom 10.6. zunächst 10 Juden aus Haigerloch für den Transport vorgesehen. Am 6.7. wiederholte der Landrat von Hechingen in einem Schreiben an den Bürgermeister von Haigerloch seine Verfügung zur Deportation der 10 jüdischen Einwohner, worauf dieser jedoch mitteilte, dass 6 von ihnen transportunfähig wären [HStA Stuttgart, EA99/001, Bü235]. Nach ärztlicher Untersuchung wurden schließlich 5 von der Deportation zurückgestellt, so dass noch 5 Juden abtransportiert wurden [USHMM, RG-14.053, Reel 1].


Aus Leutkirch im Landkreis Wangen im Allgäu waren Heinrich und Alice Gollowitsch mit ihrer Tochter Liselotte für den Transport eingeteilt worden. Während Mutter und Tochter am 10.7. nach Stuttgart überführt wurden, wurde Heinrich Gollowitsch erst am 14.7. nach dort überstellt und kam für den Abtransport einen Tag zuvor nicht mehr infrage. Getrennt von der Familie hat er sich in der folgenden Nacht im Polizeigefängnis II in Stuttgart das Leben genommen [HStA Stuttgart, EA99/001, Bü237].

©TF 2022, mail(at)statistik-des-holocaust.de

Der Stuttgarter Transport vom 13.7.42, der über München (siehe hier) und Chemnitz (siehe hier) mit weiteren Teiltransporten verbunden wurde, war parallel zu den Transporten vom 10./11.7. aus Nord- und Mitteldeutschland ein zweiter Sammeltransport mit einem bisher für Deutschland, abgesehen von den Verschickungen aus Oberschlesien, unbekannten Ziel - dem Konzentrationslager Auschwitz. Beide Sammeltransporte mit jeweils etwa 1000 Verschleppten wurden mit großer Geheimhaltung in Bezug auf den Zielort durchgeführt, wie in den Erläuterungen zum Berliner Teiltransport vom 11.7. gezeigt ist (siehe hier). Überlebende oder auch nur Häftlingsnummern sind im Unterschied zu den späteren Verschickungen nach Auschwitz nicht bekannt, was darauf schließen lässt, dass sämtliche Teilnehmer unmittelbar nach der Ankunft ermordet wurden.


Das Motiv dieser Todestransporte vom Juli 1942 nach Auschwitz scheint mehrschichtig zu sein. Neben regionalen "Säuberungen" wurden z.B. dem Münchener Teiltransport auffallend viele Strafgefangene zugeführt, und lokale Gestapobeamte sprachen von einem "Straftransport" [M. Strnad, Zwischenstation "Judensiedlung", München 2011, S. 132]. Das Deutsche Reich hat sich darüberhinaus mit diesen Transporten nach Auschwitz der jüdischen Insassen in "arischen" Pflegeanstalten entledigt. Neben der, wie oben gezeigt, württembergischen Heil- und Pflegeanstalt Heggbach wurden auch die badischen Heil- und Pflegeanstalten Wiesloch und Emmendingen "judenfrei". Ein diesbezügliches Schreiben der Bezirksstelle Baden-Pfalz an die Berliner Zentrale der Reichsvereinigung enthält den unmissverständlichen Betreff: "Abwanderung von Insassen deutscher Heil- und Pflegeanstalten", siehe die Reproduktion aus dem Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, Bestand B-1/19, Nr. 333.

Landkreis Biberach

Landkreis Wangen

Landkreis Hechingen

Die beiden in dem Dokument Erstgenannten, Adolf Würzweiler und Moritz Kleinberger, waren Insassen der Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch, die beiden Letztgenannten, Frieda Moch und Rachele Einhorn, der Heil- und Pflegeanstalt Emmendingen. Mit den 49 Menschen aus Württemberg und Hohenzollern sowie den 4 Badenern sind insgesamt 53 Menschen aus Südwestdeutschland im Juli 1942 über Stuttgart nach Auschwitz deportiert worden.

Eine vollständige Transportliste ist nicht überliefert. Nachkriegsaufstellungen der Archivdirektion Stuttgart, die für die Staatsanwaltschaft im Zuge von Ermittlungsverfahren gegen frühere Angehörige der Gestapo erstellt wurden, sind lückenhaft [StA Ludwigsburg, EL 317 III, Bü 463]. Nachfolgend abgebildet ist eine rekonstruierte Liste, die auf der Basis der oben genannten Quellen sowie weiterer Unterlagen erstellt wurde. Für die drei in der Liste genannten, zuletzt in Buttenhausen wohnhaften Juden konnte jedoch, obwohl die Indizien dafür sprechen, der Abtransport am 13.7. bisher nicht sicher geklärt werden.